2. Trockene Techniken – manuelle Radierverfahren ohne Ätzung
Themen dieser Teilseite
- 2. Trockene Techniken – manuelle Radierverfahren ohne Ätzung
- Unterkapitel
- ➥Kaltnadelradierung
- ➥Radierung auf Kunststofffolie und Recyclingmaterial
- ➥Kupferstich (Gravur)
- ➥Stahlstich (Siderographie)
- ➥Spiralzeichner + Harmonograph
- ➥Punktierstich / Punzenmanier
- ➥Mezzotinto (Schabkunst)
- ➥Reliefdruck / Carborundum
- ➥Schleifpapiertechnik
- ➥Xylographie und Tonstich
- ➥Aleatorische Verfahren
- ➥Vollautomatische CNC‑Radierung
- Quellen für Bildbeispiele und Kunstgeschichte
- Unterkapitel
Die „trockenen Verfahren“ der Radierung bezeichnen Techniken, bei denen kein Ätzmittel wie Säure verwendet wird, sondern die Bildgestaltung direkt durch mechanische Einwirkung auf die Druckplatte erfolgt. Es wird kein Ätzbad verwendet, eine Abdeckung mit Abdecklack oder das Aufschmelzen von Kolophonium (bzw. Asphalt) erfolgt nicht. In den Unterkapiteln dieses Themas erhalten Sie einen Überblick über eine facettenreiche Auswahl manueller Radier- und Tiefdruckverfahren – von der feinen Kaltnadeltechnik bis zur computergesteuerten CNC-Radierung. Jedes Teilverfahren fungiert dabei als eigenes Kapitel: Während einige das traditionelle Handwerk mit historischen Wurzeln repräsentieren, eröffnen andere experimentelle Zugänge mit Alltagsmaterialien oder modernen Maschinensteuerungen.
Unterkapitel
➥Kaltnadelradierung
Die Kaltnadelradierung gehört zur Gruppe der trockenen Druckverfahren und zeichnet sich dadurch aus, dass die Metallplatte mechanisch – also ohne chemische Ätzung – mit einer Radiernadel geritzt wird. Wichtigster optischer Effekt: Die aufgeworfenen Grate halten die Druckfarbe, wodurch samtige, malerische Linien und warme Schwarzwerte entstehen. Je weicher das Metall, desto ausgeprägter der Effekt – allerdings leidet die Haltbarkeit der Druckplatte. Kupferplatten liefern in der Regel 20–30 gute Abzüge, während eine Verstahlung oder Verchromung die Stückzahl auf 50–100 erhöht. Kontrollen während der Arbeit lassen sich durch wiederholtes Einfärben und Betrachten im Spiegel durchführen – eine gepflegte, aber auch physisch herausfordernde Technik, bei der man sich vor scharfen Graten schützen sollte.
➥Radierung auf Kunststofffolie und Recyclingmaterial
Hier stehen kreative, kostengünstige Varianten mit Alltagsmaterialien im Vordergrund: Kunststofffolien oder Kunstglas, oft aus dem Baumarkt, dienen als Druckträger. Diese Materialien sind besonders im schulischen Unterricht beliebt, da sie mit einfachen Werkzeugen bearbeitbar und billig sind (Cutter, Schere, Nagelradiernadel). Über Paustechniken lassen sich detailreiche Motive oder Schattenstrukturen erzielen. Auch der Ansatz, CD‑, DVD‑ oder OHP‑Folien zu verwenden, erweitert die experimentellen Möglichkeiten für Einsteiger und Jugendliche und führt an diese Kunstgattung heran.
➥Kupferstich (Gravur)
Beim Kupferstich – dem klassischen Tiefdruckverfahren – wird die Platte mit einem Stichel gestochen, nicht mit der Nadel geritzt. Die Arbeit beruht auf ruhigem, gleichmäßigem Führen des Werkzeugs, die Hand liegt in der Regel auf einem Lederpolster. Hayter empfiehlt als Einstiegsübung Parallelschraffuren. Probeabzüge sind bei dieser Drucktechnik unproblematisch: Eine gut gestochene Kupferplatte erlaubt bis zu 800 Abzüge. Zink ist dafür ungeeignet, da es zu weich ist.
➥Stahlstich (Siderographie)
Die Siderographie, auch Stahlstich genannt, ist eine Weiterentwicklung des Kupferstichs und gilt als besonders auflagenstark. Sie eignet sich besonders für Präzisionsdrucke wie Banknoten oder Briefmarken, wird aber auch in der Buchillustration genutzt. Eine aufwändige Walzentechnik ermöglicht eine nahezu unbegrenzte Anzahl von Drucken. Seit der Entwicklung Anfang des 19. Jahrhunderts durch Jacob Perkins ist der Stahlstich in spezialisierten Bereichen noch bis heute im Einsatz.
➥Spiralzeichner + Harmonograph
Mit mechanischen „Kinderspielzeugen“ lassen sich regelmäßige Formstrukturen erzeugen, die den Mustern auf Banknoten ähneln. Hier sind diese Apparaturen beschrieben.
➥Punktierstich / Punzenmanier
Ein trockenes Verfahren ohne chemische Ätzung, bei dem Bildhelligkeit punktförmig durch Aufschlagen auf die Platte erzeugt wird – ideal für pointillistische Tonabstufungen. Die Technik – ursprünglich als „Opus Mallei“ im 17. Jahrhundert von Janus Lutma entwickelt – wird mit speziellen Punktierhämmerchen ausgeführt, oder auf einer mit Schleifpapier bedeckten Unterlage.
➥Mezzotinto (Schabkunst)
Die Mezzotinto, auch Schabkunst genannt, entstand im 17. Jh. und ist bekannt für ihre ausdrucksstarke Wiedergabe von Licht und Schatten. Zink eignet sich nicht, bewährt haben sich Messing- oder Kupferplatten. Die Platte wird mit Wiegemessern „aufgeraut“, wodurch dichte, samtige Tiefschwarzflächen entstehen. Die Zeichnung entsteht anschließend durch Abschaben, Glätten und Abtragen von Material – plastisch und tonreich. Auch hier kann eine Härtung der Oberfläche die Anzahl der möglichen Abzüge steigern.
➥Reliefdruck / Carborundum
In diesem Unterkapitel finden sich Verfahren wie Reliefdruck, Carborundum-Technik bzw. Carborundum-Radierung und Prägedruck. Reliefstrukturen entstehen durch mechanisches Bearbeiten (Sandstrahlen, Bohren, Kleben, Aufschmelzen von Kunstharz) von Metallplatten – oftmals mit Materialien wie Kies, Sand oder Acrylharz. Die resultierenden hochstrukturierten Druckplatten erzeugen plastische Motive auf voluminösem Papier. Carborundum wird mit Kunstharz kombiniert – eine Technik, die z. B. der Künstler Joan Miró für großformatige Arbeiten verwendete.
➥Schleifpapiertechnik
Diese Technik dient dem kontrollierten Aufrauen von Plattenoberflächen. Durch mechanisches Körnen, Schleifen oder Strahlen mit Sand bzw. Carborund kann die Oberflächenstruktur gezielt bearbeitet und vorbereitend auf Ätzverfahren gestaltet werden. Sowohl gleichmäßige Aufrauung als auch struktureller Kontrast lassen sich so erzielen – optional auch kombiniert mit chemischem Anätzen.
➥Xylographie und Tonstich
Die Xylographie (Holzschnitt) und der Holzstich/Tonstich gehören zu den Hochdruckverfahren, arbeiten jedoch teilweise nach Tiefdruckprinzipien. Beim Holzstich – meist in Hirnholz ausgeführt – bleiben Linien stehen, während umliegendes Material entfernt wird. Thomas Bewick erfand eine Technik, bei der quer zur Holzfaser gearbeitet wurde, um feinste Linien und Tonabstufungen zu ermöglichen, welche die Qualität des Kupferstichs erreichten. Im 19.Jahrhundert verbreitete sich diese Technik besonders im Buchdruck.
➥Aleatorische Verfahren
Diese Rubrik experimenteller Techniken lässt bewusst Zufälle zu: Mechanische oder chemische Einwirkungen auf die Platte erzeugen freie, unvorhersehbare Strukturen. Beispiele reichen von fallenden Nägeln, vergrabenen und korrodierten Druckplatten bis zu Lackmustern durch Decalcomanietechnik oder Tropftechniken. Diese aleatorischen Eingriffe ermöglichen gestalterisch freies Arbeiten – überraschend, spielerisch und individuell.
➥Vollautomatische CNC‑Radierung
Dieses Kapitel weist auf Möglichkeiten moderner Technik: Die CNC-gesteuerte Radierung verwendet Computer, Nadeldrucker oder Plotter, um Digitales auf Metallfolien oder Kupferplatten zu übertragen. Mit Vektorgrafikprogrammen mit DXF-Export und CNC‑CAD-Systemen lassen sich reliefartige oder feine grafische Strukturen erzeugen – ideal zur Verbindung von digitaler Gestaltung und traditionellem Tiefdruck.
Dieses Kapitel umfasst eine große, thematische Bandbreite: Es führt von traditionellen, historischen Tiefdruckverfahren über kreative Low‑Budget‑Ansätze und strukturreiche Reliefmethoden zu modernen CNC‑Methoden. Die beschriebenen Verfahren unterscheiden sich sowohl hinsichtlich der verwendeten Werkstoffe (Metall, Holz, Folie, Recyclingmaterial), der angewandten Technik (mechanisch, chemisch, digital) als auch in ästhetischen Ergebnissen – von samtigen Linien über plastische Strukturen bis hin zu experimentellen Oberflächen. Der Leser erhält somit einen lebendigen Einstieg in die Welt der manuellen Radierverfahren – ideal als Einführung, die Überblick schafft und Lust auf vertiefende Auseinandersetzung weckt.
Quellen für Bildbeispiele und Kunstgeschichte
Im Internet gibt es zahllose Quellen mit Abbildungen zu den Radiertechniken und den manuellen, sowie zu den ’nassen‘ Radierverfahren. Eine ‚Radierung‘ muss nicht durch ein trockenes Verfahren entstanden sein – vielmehr sind gerade Radierungen oft durch eine Strichätzung oder eine Aquatinta (siehe ➥“Nasse Verfahren„) entstanden. Suchbegriffe sind: Kaltnadelradierung, Kupferstich, Mezzotinto, Stahlstich sowie die fremdsprachlichen Entsprechungen.
Im Kapitel „➥ Kunstgeschichte“ und besonders im Unterkapitel „➥ Bildbeispiele Radiertechniken“ sind Quellen für Bildbeispiele für die verschiedensten Radiertechniken gesammelt und nach Techniken und Themen sortiert.
Das Kapitel „➥ Radierer und Drucker“ enthält Verweise zu Kapiteln auf commons.wikimedia.org, sowie zu online abrufbaren Sammlungen von Museen und (Hochschul-)Bibliotheken.
Im Unterkapitel ➥ Literatur finden Sie Verweise auf Bücher und Webseiten mit Abbildungen. Empfehlenswert ist auch eine Recherche auf ➥ archive.org – wählen Sie dort den Menuepunkt „Texts“.
Weiterlesen: ➥ Die „kalte Nadel“ — Übersicht: ➥Sitemap
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