Naturselbstdruck und Chemigramm

Synonyme: Rayographie, ➥ Rayogramm, Schadographie, Schadogramm, Kameralose Fotografie, Lumographie, Luminogramm, Generative Fotografie, Photogenic drawing, photogenische Zeichnung

Geschichte + Kunstgeschichte

Ein Fotogramm können Sie mit allen fotografischen Techniken der ➥ fotografischen Edeldruckverfahren erzeugen.
Bereits 1840 stellte der britische Fotopionier William Henry Fox Talbot ‚Photogenic drawings‘ her, indem er Gegenstände auf das von ihm entdeckte – mit Kochsalz und Silbernitrat präparierte – Papier legte und belichtete.

Beispiele für künstlerische Fotogramme finden Sie bei ➥ Lazlo Moholy-Nagy, ➥ Man Ray, ➥ Christian Schad bei Künstlerfotografen, ➥ Dadaisten und Surrealisten sowie bei der Naturforscherin ➥ Anna Atkins.

Talbot Fotogramm
William Henry Fox Talbot, Photogenic Drawing, ca. 1860 [Public domain], via Wikimedia Commons

 

Fotogramme im Unterricht: Cyanotypien

Beschreibung der Cyanotypie

Für Fotogramme wird eine lichtempfindlich präparierte Unterlage (Papier, Baumwolle, Leinen, Inkjetpapier, Fotopapier) benötigt. Fotopapier ist heute nur noch in Restbeständen erhältlich und benötigt zur Bearbeitung eine Dunkelkammer.
Am praktikabelsten ist daher die ➥ Cyanotypie. Das Trägermaterial kann auf einfache Weise selbst beschichtet werden, die Chemikalien sind relativ harmlos. Die Verarbeitung kann wegen der geringen Lichtempfindlichkeit bei gedämpftem Tageslicht erfolgen, die „Entwicklung“ findet im Wasserbad statt und man benötigt keine weiteren Chemikalien.

Die Schüler suchen Gegenstände, die als „Schattenwerfer“ dienen sollen und die Bildgestaltung ergeben. Diese Gegenstände werden nun entweder auf einen Tageslichtprojektor gelegt und 5-15 Minuten belichtet oder die Klasse begibt sich bei Sonnenschein an eine schattige Stelle, an der die Schüler aus einem Umschlag das Cyanotypiepapier ausgehändigt bekommen. Mit der Schichtseite nach unten begeben sie sich dann an einen Sonnenplatz, legen zügig ihre Gegenstände auf das Blatt und belichten 5-15 Minuten – je nach Sonnenintensität. Bei bedecktem Himmel können es auch 20 Minuten sein.

Cyanotypie auf Leinwand, 50x70 cm
Schüttbild, Cyanotypielösung mit Manganrot-Farbpulver gemixt, Wolfgang Autenrieth, 2021, Cyanotypie auf Leinwand, 50×70 cm

Entwickeln

Nach der Belichtung werden die Papiere wieder in einem Umschlag „lichtsicher“ verwahrt. In einem Raum ohne direkte Sonneneinstrahlung werden dann im Wassereimer oder Waschbecken die unbelichteten Teile abgespült. Will man die Farbintensität verstärken, kann vor dem Auswaschen eine „Schnelloxidation“ in einem Eimer mit 0,8%-iger Wasserstoffperoxid-Lösung erfolgen.

Stoffbahnen werden anschließend zum Trocknen aufgehängt, Inkjet-Fotopapier kann vorsichtig abgetupft und zum Trocknen auf Zeitungspapier ausgelegt werden.

Ein Fotogramm ist ein „Schattenfänger“ – der Schatten, den das aufgelegte Objekt wirft, bleibt als gefüllte Kontur auf der lichtempfindlich präparierten Unterlage zurück. Ist das Objekt halbtransparent, ergeben sich je nach Belichtungsdauer Graustufen, ist es transparent strukturiert, zeichnet sich diese Struktur ab – je nach verwendeter Chemikalie entweder als positives oder negatives Bild.

Cyanotypie-Fotogramm, 2013, CD, geriffeltes Plexiglas und Kunststoff-Streifen
Cyanotypie-Fotogramm, 2013, CD, geriffeltes Plexiglas und Kunststoff-Streifen, © Wolfgang Autenrieth, Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 International

Tipps für Fotogramme und Chemigramme

Besonders bei der ➥ Cyanotypie hängt die Menge des entstehenden Farbstoffes (und damit die Farbintensität) von der Menge der Chemikalie ab, die übertragen wird. Für Chemigramme und Fotogramme kann daher durchaus die doppelte Badkonzentration verwendet werden. Aus der chemischen Reaktionsgleichung für die Bildung von ➥ Berliner Blau ergibt sich ein optimales Mischungsverhältnis von 3 Teilen Ammoniumferricitrat zu 2 Teilen Kaliumferricyanid. 3 Moleküle Ammoniumferricitrat müssen zur Bildung von Berliner Blau unter UV-Strahlung 3 Fe2+ an 2 Moleküle Kaliumferricyanid abgeben.

Setzen Sie 2 getrennte Lösungen an:
60 gr Ammoniumferricitrat in 0,5 Liter Wasser mit einigen Tropfen Para (Konservierungsmittel zur Haltbarmachung von Fruchtsäften gegen Schimmelbildung)
40 gr Kaliumferricyanid in 0,5 Liter Wasser

Bewahren Sie beide Lösungen lichtgeschützt auf und mischen sie die benötigte Menge vor Gebrauch im Verhältnis 1:1. Zum Beschichten eines Klassensatzes Cyanotypiepapier auf Inkjetpapier benötigen Sie ca. 100 ml

Anna Atkins Cyanotypie
Anna Atkins, Cyanotypie – Photogramm, 1853, [Public domain], aus ihrem Buch ‚Cyanotypes of British and Foreign Ferns‘ via Wikimedia Commons

 

Cyanotypie auf Nessel, 40x40 cm
„Hohlscheibenwelt“, Wolfgang Autenrieth, 2021, Cyanotypie auf Nessel, 40×40 cm

Diese Abbildung zeigt eine Kombination aus Chemigramm und Fotogramm. Die Cyanotypielösung wurde mit einer Sprühflasche auf den Nesselstoff gesprüht. Für das Fotogramm dann eine seitliche Führung aus einem Elektroherd, eine Hohlkammerplatte, ein dreiarmiger Kerzenleuchter und die Netzhülle einer Zitrone aufgelegt und 30 Minuten bei mittlerem Sonnenschein belichtet.

Mögliche Materialien

Geeignet – und sofort verfügbar –  ist der gesamte Inhalt des Schülermäppchens ;-)

Cyanotypien
Schülerarbeiten (Cyanotypien) auf Fotopapier für Tintenstrahldrucker

Materialien zum Umwickeln

  • Umwickeln mit Schnur / Frischhaltefolie / Stacheldraht / Perlonschnur / Bindfaden / Wolle
  • Umkleben mit Tesa / Packband / Klebeband / Kreppband (nimmt Beschichtung teilweise ab)
  • Einflechten von Getreide / Gräsern / Ästen / Folie

Materialien 2-dimensional dicht

  • Spaltschnitt / Konfetti / Metallstanzteile / Dichtungsringe / Motordichtung / Farne / Gräser / Farbe zwischen Folien (Dispersion / Tusche / Rötel) / Scherenschnitte / Schnipsel / Schlüssel / Stickereien / Tortenpapier
Cyanotypie-Fotogramm auf Tintenstrahl-Fotopapier
Scherenschnitte auf Cellophan-Folie mit Baumschere. Cyanotypie-Fotogramm auf Tintenstrahl-Fotopapier © Wolfgang Autenrieth 2013

Materialien 2-dimensional transparent

  • Folienkonfetti / Folie gekratzt / Tageslichtfolie / Geschenkfolie
  • Wasser auf Folie / Öl auf Folie
  • drapierte Klarsichthüllen / Dias / CDs teilweise abgekratzt – abgeschabt – abgeflammt
  • Fresnell-Linse
  • Collage aus Transparentmaterial / Plastikhandschuhe

Materialien 3-dimensional dicht

  • Technik
    Stahlwolle / Heugabel / Speichenrad / Kabel / Fliesenkreuze / Fahrradspeichen / Fahrrad / Gitterkorb / Hasengitter / Metallkette / Schreibmaschinenmechanik / Kleinteile (Schrauben, Nägel) / Werkzeuge / Metallfedern
  • Natur
    Schilfwedel / Federn / Äste / tote Insekten (Käfer, Libellen) / Pflanzen / Blätter / Gräser / Blüten / Tannenzapfen / Kiefernzapfen / Hände / Füße / Haare /
  • Haushalt
    Schnur / Wolle / Schmuckketten / Stifte / Nudeln / Gabeln / Zwiebelnetz / Mandarinennetz / Gardinen / Vorhänge / Netz / Netzstrümpfe / Scheren / Messer / Säge / Nadeln / Sicherheitsnadeln /

Materialien 3-dimensional (halb)transparent

  • Glas
    Glasschüssel / Salatschüssel / Trinkgläser / Kronleuchterkristalle / geschliffenes Glas / Bleikristall / Glühbirnen / Neonröhren / Neonröhrenabdeckung / Glasbausteine / Glasscheiben / Flaschen / Glasmurmeln / Brillen
  • Angeflammte Folie (angeschmolzen)
  • geknüllte Klarsichtfolie
  • Plastik
    Noppenfolie / Verpackungsmaterial (Lufttaschen) / Kunststoffverpackungen / Kunststoffboxen / Brillen / Lupen / Kunststoffflaschen (Boden, halbiert, abgeschnitten) / Schutzbrille / Lineal / Reiter von Hängeregistratur
  • andere Mittel
    Haarfestigerschaum / Rasierschaum /Kristalle
  • Natur
    Zitronenscheiben / Zucker / Salz
"Gute-Laune-Zitronen" - Verpackungsfolie und Verpackungsnetz, Cyanotypie-Fotogramm
„Gute-Laune-Zitronen“ – Verpackungsfolie und Verpackungsnetz, Cyanotypie-Fotogramm © Wolfgang Autenrieth 2013

Bildbeispiele für Fotogramme / Kunstgeschichte

Christian Schad: Schadografie No.4, 1919
Christian Schad: Der Zwerg
➥ Christian Schad: Verschiedene Schadografien
Christian Schad: Nagapos 1962
Christian Schad: Undine 1977
Christian Schad: Schadografie Nr.3, 1919
Laszlo Maholy: Photogramm No.II, 1929
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Bildbeispiele für Chemigramme

Pierre Cordier
Blaise Adilon
Google-Bildersuche: Chemigramme
Google-Bildersuche: chemigramm
Google-Bildersuche: chimigramme
Google-Bildersuche: chemogramm

Siehe auch

Links zu Radierung und Edeldruckverfahren finden Sie unter
www.autenrieths.de/radiertechniken.html

Auf der Seite des MOMA (Museum of Modern Art) kann man interaktiv Fotogramme ‚virtuell‘ belichten
Fauxtogramme

Kamm und Thuja-Ast. Cyanotypie-Fotogramm
Kamm und Thuja-Ast. Cyanotypie-Fotogramm © Wolfgang Autenrieth 2013

Schöne Chemigramme und Bezüge zur modernen Abstrakten Kunst finden Sie auf
www.nonfigurativephoto.blogspot.fi

Literatur

🛒 ➜ Annette Golaz: Cyanotype Toning – Using Botanicals to Tone Blueprints Naturally

🛒 ➜ Marlis Maehrle: Blaue Wunder – Techniken und Projekte mit Cyanotypie

🛒 ➜ Peter Mrhar: Cyanotype: Historical and alternative photography

🛒 ➜ Marco Antonini u.a.: Fotografie: Ein Handbuch der analogen Kreativtechniken

🛒 ➜ Bill Flick u.a.: Drucktechniken. Das Handbuch zu allen Materialien und Methoden: Vollständig überarbeitete und erweiterte Neuauflage (2016)

🛒 ➜ Jürgen Gulbins: Fine Art Printing für Fotografen: Hochwertige Fotodrucke mit Inkjet-Druckern (auch zur Herstellung hochwertiger Negative für die Cyanotypie)

🛒 ➜ Peter Mrhar: Easy Digital Negatives: Historical and Alternative Photography

🛒 ➜ Marco Antonini: Experimental Photography: A Handbook of Techniques


Anmerkung:
Die Onlineversion basiert auf dem ersten Buchmanuskript von 1997 und ist mit dem Buch nur noch in Ansätzen vergleichbar. Die Seiten dieses Webauftritts enthalten oft nur wenige, kurze Absätze.  Das Buch ist zweispaltig gedruckt, damit die Informationen zwischen zwei Buchdeckel passen. Das Buch enthält hauptsächlich „Input“ – die Website dient als ergänzender ‚Bildspeicher‘. 

Erhältlich ist das Buch in erweiterten 7.Auflage mit 232 DIN-A4-Seiten.

Wege zum Buch  

Sicherheitshinweis:
Informieren Sie sich vor der Anwendung der Rezepturen unbedingt auch aus anderen Quellen! Beachten Sie das Kapitel ➥ Vorsicht Chemie!
Die Rezepturen sind der (historischen) Fachliteratur entnommen, sind nur teilweise selbst getestet und können (Übertragungs-)Fehler enthalten.
Quellenangaben zur Herkunft der Rezepturen finden Sie im Buch. Ich empfehle dringend, sich vor Anwendung der Rezepturen stets die Etiketten, Warnhinweise und Anleitungen durchzulesen, die mit den Chemikalien geliefert werden und fachkundigen Rat einzuholen. Chemikalien (und auch Naturstoffe) können karzinogen, erbgutschädigend und gesundheitsschädlich sein. Verwenden Sie Handschuhe und weitere Schutzmaßnahmen wie Mundschutz etc.

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